Fan Noli, 1959.

Fan Noli, 1959.

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 AL Voices  |  Robert Elsie

1962  |  Fan NOLI
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Bei dieser Aufnahme handelt es sich um eine Rede, die Fan Noli im Jahre 1962 vor dem Vatra-Verein hielt.

Fan Noli (1882-1965), auch als Theophan Stylian Noli bekannt, war nicht nur Leitfigur der albanischen Gemeinde in Amerika, sondern auch führende Persönlichkeit albanischer Literatur, Kultur, Religion und Politik. Noli wurde am 6. Januar 1882 im Dorf Ibrik Tepe südlich von Edirne in der europäischen Türkei geboren. Sein Vater, Stylian Noli, war Kantor in der Orthodoxen Kirche und erweckte in seinem Sohn eine Leidenschaft für Orthodoxe Kirchenmusik und byzantinische Traditionen. In Edirne ging Fan Noli auf das griechische Gymnasium. Im Jahre 1900 nach einem kurzen Aufenthalt in Konstantinopel, zog er nach Athen, wo es ihm hin und wieder gelang, im Theater bescheidene Anstellungen als Kopist, Souffleur und Schauspieler zu bekommen. Mit einer griechischsprachigen Wandertheatergruppe, die auf Tournee im östlichen Mittelmeer war, reiste Noli nach Ägypten. In Shibîn el Khôm war er vom März 1903 bis März 1905 und in El Faijûm vom März 1905 bis April 1906 als Griechischlehrer und Kirchenkantor tätig, wo sich kleine albanische Gemeinden niedergelassen hatten. Hier schrieb er einige Artikel und übersetzte ins Griechische Sami Frashëris Schift Shqipëria – ç’ka qënë, ç’është e ç’do të bëhetë? (Albanien: was war es, was ist es und was wird aus ihm werden?), die ursprünglich in der albanischen Presse in Sofia erschien. In Ägypten erfuhr Noli von seinem Lehrer, dem Mönch Nilos, mehr über byzantinische Musik und entschloss sich Orthodoxer Priester zu werden. Schon damals stand er in Verbindung mit den führenden Figuren der albanischen Gemeinde in Ägypten wie Spiro Dine (1846?-1922), Jani Vruho (1863-1931) und Athanas Tashko (1863-1915), die ihm empfahlen nach Amerika auszuwandern, wo er seine Talente besser einsetzen könnte. Der junge NOLI willigte ein.

Mit einer von Spiro Dine bezahlten Fahrkarte zweiter Klasse reiste Fan Noli im April 1906 per Dampfer von Neapel nach New York, das er am 10. Mai erreichte. Nach drei Monaten in Buffalo, wo er in einer Holzfabrik tätig war, zog Noli nach Boston. Dort gab ihn Sotir Peci (1873-1932) eine bescheidene Stelle als Hilfsredakteur der Albaner-Zeitung Kombi (Die Nation), in welcher er bis Mai 1907 unter dem Pseudonym Ali Baba Qyteza etliche Artikel veröffentlichte. Es waren sowohl finanziell wie auch persönlich schwere Jahre für Noli. Er fühlte sich in Amerika nicht wohl und überlegte ernsthaft nach Bukarest auszuwandern. Mit der Zeit fand er sich in der albanischen Gemeinde von Boston allerdings zurecht. Am 6. Januar 1907 gründete er dort die Besa-Besën (Der Eid)-Gesellschaft.

Zu dieser Zeit zeigten sich Orthodoxe Albaner in Amerika mit der griechischen Vorherrschaft in der Kirche zunehmend unzufrieden. Die Lage spannte sich im Jahre 1907 besonders zu, als sich ein griechisch-Orthodoxer Priester weigerte, die Beerdigung eines Albaners in Hudson, Massachussetts, vorzunehmen, weil dieser als albanischer Nationalist laut Kirchenvorschriften exkommuniziert war. Noli berief eine Versammlung Orthodoxer Albaner aus ganz Neu-England, an der die Delegierten beschlossen, eine autokephalische, d.h. autonome, Albanisch-Orthodoxe Kirche ins Leben zu rufen. Als Leiter dieser neuen Kirche sollte Fan Noli ernannt werden. Am 9. Februar 1908 wurde Noli in Brooklyn Dekan, und am 8. März des Jahres weihte ihn Platon, russisch-Orthodoxer Erzbischof von New York zum Priester. Genau zwei Wochen danach feierte der sechsunzwanzigjährige Noli am 22. März 1908 in der Knights of Honor Hall in Boston zum ersten Mal die Liturgie in albanischer Sprache. Diese Handlung gilt als erster Schritt zur Werdung und zur Anerkennung der Albanischen Autokephalischen Orthodoxen Kirche.

 

Fan Noli, 1908.

Fan Noli, 1908.

Vom Februar 1909 bis Juli 1911 gab Noli die Zeitung Dielli (Die Sonne), Stimme der albanischen Gemeinde in Boston, heraus. Am 10. August 1911 fuhr er dann für vier Monate nach Europa, wo er in den albanischen Kolonien in Kischinev, Odessa, Bukarest und Sofia Gottesdienste in albanischer Sprache abhielt. Zusammen mit Faik bej Konitza, der im Jahre 1909 nach Amerika ausgewandert war, gründete er am 28. April 1912 den panalbanischen Vatra (Das Herd)-Verein von Amerika, der in den folgenden Jahren zu der bedeutendsten Albaner-Organisation Amerikas werden sollte. Fan Noli war nun Führer der Orthodoxen Albaner und gleichzeitig ein bekannter Schriftsteller und Journalist der Nationalbewegung. Im November 1912 wurde Albanien unabhängig. Der dreißigjährige Noli, der inzwischen sein Studium an der Harvard-Universität abgeschlossen hatte, eilte nach Europa. Im März 1913 nahm er am Albaner-Kongress in Triest teil, das von seinem Freund und Rivalen Faik bej Konitza veranstaltet wurde.

Im Juli 1913 besuchte Fan Noli zum ersten Mal Albanien, wo er am 10. März 1914 in Anwesenheit des erst drei Tage zuvor auf einem österreichisch-ungarischen Dampfer nach Durrës eingetroffenen Fürsten Wilhelm zu Wied den ersten Orthodoxen Gottesdienst in albanischer Sprache feierte. Im August 1914, als der Weltkrieg unmittelbar bevorstand, befand sich Noli in Wien, von wo er im Mai 1915 in die Vereinigten Staaten gelang. Vom 21. Dezember 1915 bis zum 6. Juli 1916 war er wieder Hauptredakteur der nun als Tageszeitung erscheinenden Dielli tätig. Im Juli 1917 war er wieder Vorsitzender des Vatra-Vereins, der angesichts der verwirrenden Lage und des politischen Vakuums in Albanien als eine Art albanischer Exilregierung fungierte. Im September 1918 gründete Noli die englischsprachige Monatszeitschrift Adriatic Review die vom Vatra-Verein finanziert wurde, um die albanische Sache zu fördern. Nach sechs Monaten wurde die Zeitschrift dann im Jahre 1919 von Constantine Chekrezi (1892-1959) übernommen. Mit Spenden des Vatra-Vereins, die unter Nolis Führung gesammelt wurden, wurden albanisch-amerikanische Delegierten nach Paris, London und Washington geschickt, um internationale Anerkennung für den jungen albanischen Staat zu sichern. Am 24. März 1918 wurde Noli zum Verwalter der Albanisch-Orthodoxen Kirche in Amerika ernannt und nahm Anfang Juli in Mount Vernon, Virginia, an einer Konferenz unterdrückter Völker teil, auf der er Präsident Woodrow Wilson (1856-1924), den Verfechter von Minderheitenrechten in Europa, traf. Am 27. Juli 1919 wurde Noli zum Bischof der Albanisch-Orthodoxen Kirche in Amerika, nunmehr eine unabhängige Diözese.

Angesichts seiner zunehmenden Bekanntschaft als politischer und religiöser Führer und als talentierter Schriftsteller, Redner und politischer Kommentator leitete Fan Noli im folgenden Jahr die albanische Delegation zum Völkerbund in Genf, wo am 17. Dezember 1920 mit seiner Hilfe Albanien Vollmitglied der neuen Weltorganisation wurde. In späteren Jahren betrachtete Noli diese Mitgliedschaft als seine größte politische Leistung. Als Teil des Völkerbundes erlangte das kleine Balkanland zum ersten Mal internationale Anerkennung, einen Schritt, der für den albanischen Staat letztenendes vielleicht wichtiger war als die Ausrufung der Unabhängigkeit. In einem Kommentar beschrieb der Manchester Guardian Noli am 23. Juli 1924 als ein „Mann, der in jedem Lande außergewöhnlich gelten würde. Als ausgewiesener Diplomat, Fachmann für internationale Politik, und kühner Versammlungsredner machte er in Genf von Anfang an großen Eindruck. Meisterhaft schlug er seine Balkan-Kontrahenten, doch stets mit einem großen Lächeln. Er ist ein Mann großer Kultur, der alles Lesenswerte auf englisch und französisch verschlungen hat.“

 

Fan Noli, der in Genf 1924 den Sitz des Völkerbundes betritt.

Fan Noli, der in Genf 1924 den Sitz des Völkerbundes betritt.

Nolis Erfolg beim Völkerbund machte ihn zum führenden Politiker seines Landes. Von Genf kehrte er nach Albanien zurück, wo er in den Jahren 1921 und 1922 den Vatra-Verein im albanischen Parlament vertrat. Im Jahre 1922 wurde er in der Regierung von Xhafer bej Ypi (1880-1940) Außenminister, trat allerdings nach einigen Monaten von seinem Amt zurück. Am 21. November 1923 wurde er zum Bischof von Korça und Metropolit von Durrës geweiht. Nun war er zugleich Leiter der Orthodoxen Kirche in Albanien und Vorsitzender einer liberalen Partei, die den politischen Kampf gegen die konservativen Kräfte des in erster Linie von Großgrundbesitzern unterstützten Ahmet Zogu (1895-1961) aufnahm. Am 23. Februar 1924 wurde ein Anschlag auf das Leben des Ahmet Zogu verübt. Zwei Monate darauf, wurde als Gegenzug am 22. April 1924 – angeblich von den Zogisten - der nationalistische Politiker und Abgeordnete Avni Rustemi (1895-1924) ermordet. Bei der Beerdigung Rustemis hielt Fan Noli eine glühende Grabrede, die die Gemüter der liberalen Opposition so erregte, dass Ahmet Zogu in der sogenannten Junirevolution die Flucht nach Jugoslawien ergreifen musste.

Am 17. Juli 1924 wurde Fan Noli zum Ministerpräsidenten und bald danach zum Regenten von Albanien ernannt. Sechsmonatelang leitete er eine demokratische Regierung, die sich verzweifelt bemühte, die katastrophale Wirtschaftslage und die erheblichen politischen Probleme des jungen albanischen Staats zu bewältigen. Letztenendes aber scheiterte sein Zwanzigpunkte-Programm zur Modernisierung und Demokratisierung Albaniens, einschließlich Agrarreform in dem unterentwickelten Land ohne parlamentarische Traditionen. In einem Brief an einen englischen Freund skizzierte Noli später die Gründe seines Misserfolges: „Indem ich auf Agrarreformen pochte, ärgerte ich die Großgrundbesitzer; indem ich die Reformen aber nicht durchführen konnte, verlor ich die Unterstützung der Massen.“ Als am Heiligen Abend 1924 die aus Jugoslawien zurückkehrenden Zogisten seine Regierung stürzten, verließ Fan Noli Albanien für immer.

Noli verbrachte einige Monate in Italien auf Einladung von Benito Mussolini (1883-1945). Als der Duce aber mit Zogu eine Vereinbarung über Ölkonzessionen in Albanien abschloss, wurde Noli und seinen Mitstreitern zu verstehen gegeben, dass ihre Anwesenheit auf italienischem Boden nicht mehr wünschenswert war. Noli verbrachte die folgenden Jahre in Mitteleuropa, hauptsächlich in Deutschland und Österreich. Im November 1927 besuchte er als Balkandelegierter den Kongress der „Freunde der Sowjetunion“ in Russland zum Anlass des zehnten Jahrestages der Oktoberrevolution und kehrte im Jahre 1930 mit einem sechsmonatigen Visum in die Vereinigten Staaten zurück.

In Boston gründete Noli eine Wochenzeitschrift namens Republika (Die Republik), dessen Namen schon eine Herausforderung des Ahmet Zogu darstellte, der sich am 1. September 1928 zum König ausrufen ließ. Republika war Gegenpol der nun unter der Leitung von Faik bej Konitza herausgegebenen Zeitschrift Dielli, insbesondere nachdem Konitza sich mit dem König versöhnt hatte und zum albanischen Bevollmächtigten in Washington ernannt wurde. Sechs Monate später kehrte Noli nach Deutschland zurück, da sein amerikanisches Visum abgelaufen war. Die Zeitschrift Republika wurde bis 1932 von Anastas Tashko geführt. Mit Unterstützung seiner Anhänger konnte Noli 1932 nach Amerika zurückkehren und erhielt dort eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Nunmehr zog er sich aus dem politischen Leben zurück und widmete sich seinen Aufgaben als Leiter der Orthodoxen Kirche. Im Oktober 1933 wurde Noli ernsthaft krank und war finanziell nicht in der Lage, sein Leben zu bestreiten. Von seinem Erzfeind Zog in Albanien erhielt er ein Geschenk von 3.000 Goldfranken, eine Geste, die – wie beabsichtigt – zu einer gewissen Versöhnung nicht nur zwischen Noli und Zog führte, sondern auch zu einem gewissen Masse zwischen Noli und dem schwierigen Konitza.

Im Jahre 1935 kehrte Noli zu seiner früheren Leidenschaft, der Musik zurück, und im Alter von dreiundfünfzig schrieb er sich als Student am New England Conservatory of Music in Boston ein, wo er 1938 ein Bachelor of Music erhielt. 1945 promovierte er an der Universität von Boston mit einer Dissertation über Skanderbeg.

Als der Patriarch von Konstantinopel am 12. April 1937 die Autokephalische Albanisch-Orthodoxe Kirche anerkannte, erfüllte sich endlich Nolis großer Traum einer albanischen Nationalkirche.

 

In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg pflegte Noli Beziehungen mit den neuen kommunistischen Regime in Tirana und bemühte sich um seine Anerkennung durch die amerikanische Regierung. Sein Ruf als „roter Bischof“ verursachte in Emigrantenkreisen eine nicht unbeträchtliche Aufregung und Polarisierung. Im Alter erhielt Fan Noli 1953 vom Vatra-Verein ein Geschenk von $20.000, mit dem er sich ein Zuhause in Fort Lauderdale, Florida, kaufen konnte. Dort starb er am 13. März 1965 im Alter von dreiundachtzig.

 

Bei dieser Aufnahme handelt es sich um eine Rede, die Fan Noli im Jahre 1962 vor dem Vatra-Verein hielt. Aufbewahrt von Peter Prifti (San Diego) wurde sie von der Albanisch-Orthodoxen Erzdiözese in Amerika zur Verfügung gestellt und von Avni Spahiu und Baki Jashari (Prishtina) auf CD digitalisiert, denen ich für die Verwendungsgenehmigung dankbar bin.

 

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